Website-Icon Blog Schwangerschaft und Baby

Interview: „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“

Nachsorge Geburt - Mutter und Baby - Copyright: Oleg Sergeichik
Geschätzte Lesedauer: 7 Minuten

Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett – werdende und frischgebackene Mamas werden mit Ratschlägen, Tipps und Meinungen förmlich überhäuft. Es wird ein enormer Druck aufgebaut, stets das Beste fürs Baby zu wollen, ungeachtet dessen, dass das Beste für die Mütter oft besonders umständlich, zeitintensiv oder sogar schmerzhaft ist. Durchhalten und anstrengen lautet die Parole und bloß immer weitermachen. Dem übersteigerten Mutterkult sagt die Autorin Ana Wetherall-Grujić mit ihrem Buch „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“ den Kampf an – wütend, frech und verdammt ehrlich. Im Interview erzählt sie u. a., was sie nach der Geburt besonders frustriert hat und gibt Tipps für hilfreiche Wochenbett-Geschenke.

Ein Handbuch für die glückliche Mutter

Ana Wetherall-Grujić, Journalistin und seit einiger Zeit selbst Mutter, hatte nach Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett die Nase voll. Oft hatte sie das Gefühl, die Gesellschaft würde von Müttern erwarten, sich ganz besonders anzustrengen – Hauptsache, dem Baby geht es gut. Mit ihrem Buch „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“ macht sie ihrer Wut Luft. In ihrem Handbuch für die glückliche Mutter steht ebendiese im Mittelpunkt. „Dieses Buch ist eigentlich kein Ratgeber, sondern eine Stütze für diese erste Zeit nach der Geburt, wo das Leben zu voll und gleichzeitig komplett leer ist“, schreibt sie.

Sie wirft dabei einen Blick auf die medizinische Versorgung während der Schwangerschaft, in der die Frau plötzlich egal zu sein scheint; erzählt vom Nase rümpfen über gewollte Kaiserschnitte und Milch aus der Flasche; erklärt wieso Stoffwindeln nicht das Klima retten und Hebammen nicht immer Freundinnen und Helferinnen sind. Ehrlich, erzürnt und einfühlsam stellt die Autorin in „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“ die acht Gruppen der Baby-Besserwisser vor; schimpft über sinnlose Sprüche und den Druck zum Glücklichsein mit Baby und gibt Vätern, Partnerinnen, Verwandten und Freunden zahlreiche sinnvolle Tipps.

Ana Wetherall-Grujić gelingt es auf eingängige Weise den Finger in die Wunde zu legen. Sie schafft es, werdenden oder frischgebackenen Mamas Mut zu machen, sich dafür zu entscheiden, was ihnen und ihrer Familie gut tut. Der Nicht-Ratgeber „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“ sollte zur Pflicht-Lektüre für Schwangerschaft und Wochenbett ernannt werden: Er ist die Nadel, die den Luftballon voll Mutterkult-Druck zum Platzen bringt. Chapeau!

Cover „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“ © Kremayr & Scheriau

Im Gespräch mit Ana Wetherall-Grujić

Wie ist die Idee zum Buch entstanden?

Das Thema hat mich einfach sehr umgetrieben. Ich habe gemerkt: Hier wird etwas schwierig gemacht, was nicht so schwierig sein müsste. So ist auch der Titel „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“ entstanden. Bevor mein Kind geboren wurde, habe ich gedacht, dass das Kind die Herausforderung werden wird: Man schläft nicht, es ist körperlich anstrengend. Im Endeffekt war ich überrascht, wie intuitiv vieles mit meinem Kind ging – klar, manchmal war es schwierig. Aber ich fand es krass, wie um mich und mein Kind herum alles so schwierig gemacht wurde. Und das musste ich aufschreiben.

Wann haben Sie angefangen, das Buch zu schreiben?

Ich habe ungefähr im September 2022 angefangen. Tagsüber habe ich mich um mein Kind gekümmert und sobald mein Mann zuhause war, hat er das Baby genommen. Dann habe ich mich ein bis zwei Stunden hingesetzt und einfach geschrieben. Ich musste sehr fokussiert, sehr kompakt arbeiten. Das ging meistens ganz gut. Ca. fünf Monate später war dann das erste Manuskript fertig. Das war sportlich. Das Schreiben war zwar manchmal anstrengend, aber es hat mir geholfen. Ich habe gemerkt: Es gibt mich als Mutter und mich als diejenige, die weiterhin schreibt.

Sie schreiben in Ihrem Buch über die negativen Erfahrungen, die Sie im Krankenhaus beim Stillen gemacht haben. Waren das Momente, die Sie besonders wütend gemacht und sie animiert haben, das Buch zu schreiben?

Ja, die Still-Thematik hat mich sehr geprägt. Bis dahin war ich zwar wütend, beispielsweise darüber, wie das ganze Geburtsthema behandelt wird. Aber das konnte ich noch mit mir selbst ausmachen.

Dieses Still-Thema hat mich dann wirklich traumatisiert. Ich war in so einer verletzlichen Situation und es gab keine Nachfragen im Sinne von: „Wollen Sie denn stillen?“ Und das, obwohl ich gerade am Anfang im Krankenhaus mehrfach betont hatte, dass es für mich okay ist, wenn das Stillen nicht klappen sollte und ich kein Problem damit habe, dass mein Kind ein Fläschchen bekommt. Stattdessen wurde mir die ganze Zeit suggeriert, ich wäre nur eine Anstrengung davon entfernt, dass es klappt. Ich muss mich nur ein bisschen mehr anstrengen, noch einmal mehr anlegen und dann wird das schon.

Niemand hat zwischendurch gefragt, ob ich möchte, dass mein Kind hungert. Denn das war die Realität: Mein Kind hat gehungert. Erst als das Gewicht meines Kindes unter einen kritischen Stellenwert gefallen ist und mein Baby dann mit Säuglingsnahrung gefüttert wurde, kam auf meine Nachfrage hin heraus, dass mein Kind die ganze Zeit nichts gegessen hatte. Und ich dachte mir: Wieso hat das niemand zu mir gesagt? Dann hätte ich doch sofort gesagt, dass ich mein Kind natürlich nicht hungern lassen will und hätte ein Fläschchen gefordert.

Es gibt eben in wenigen Fällen bei der Kindererziehung oder beim Kindergroßziehen ein richtiges Schwarz oder Weiß – Themen wie Gewalt ausgenommen, die natürlich absolut tabu sein muss. Kinder und Familien sind individuell und vieles funktioniert durch Ausprobieren. Offenheit leben, sich nicht reinreden lassen, das ist so wichtig.

Gab es in der Zeit nach der Geburt noch einen Moment, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist, weil er sie wütend gemacht hat?

Ja, aber er hat mich nicht unbedingt wütend gemacht, sondern mich eher verunsichert. Ich war im Krankenhaus und ich konnte mein Kind nicht stillen. Und dann habe ich irgendwann ein Fläschchen gegeben. Mehrere Hebammen im Krankenhaus haben mir gesagt, dass mein Kind nur eine bestimmte Anzahl von Fläschchen essen darf. Alles darüber hinaus wäre zu viel. Ich habe immer Bescheid gesagt, wenn mein Kind geweint hat, um ein Fläschchen zu bekommen. Ich habe gespürt, es wollte einfach nur essen.

Irgendwann kam eine Hebamme und meinte, ich könne nicht so oft läuten, und um ein Fläschchen bitten. Ich müsse aufpassen, dass mein Kind nicht zu viel isst. Mir schwirrten sowieso schon so viele Vorurteile durch den Kopf, weil ich mein Kind nicht stillen konnte und dann kam auch noch diese Frau und sagte mir, ich würde mein Kind überfüttern. Ich hatte danach das Gefühl, dass ich mein Kind nicht so oft füttern dürfte, wie ich meinte, dass es gut wäre.

Als wir dann wieder zuhause waren, sind wir zum Kinderarzt gegangen. Und der meinte: „Hauptsache sie kriegen Ihr Kind satt. Ob mit Brust oder Fläschchen ist vollkommen egal.“ Und dann hat er mir noch mit auf den Weg gegeben, dass es gar nicht möglich sei, einen Säugling zu überfüttern. Sie essen nur so viel, wie sie brauchen und können. In dem Moment war ich dann doch wütend, weil ich mich gefragt habe, wieso die Hebamme mir gesagt hat, dass ich mein Kind nicht so oft füttern darf, wie es Hunger hat. Ich hatte das Gefühl, man wollte mir nur ein schlechtes Gewissen machen, weil ich nicht stillte.

Gerade Frauen, die zum ersten Mal Mama werden, lesen unendlich viele Tipps, Ratschläge und Anweisungen oder werden unbewusst mit ihnen konfrontiert. Es fällt schwer, diese zu hinterfragen und es fällt immer schwerer, aufs eigene Bauchgefühl zu hören. Wie schaffen Eltern es, mehr auf ihre eigenen Bedürfnisse und ihren Instinkt zu hören?

Die schlechten Ratgeber und Ratgebenden tun so, als hätten sie die Wahrheit gepachtet. Das kann alles mögliche betreffen: Stillen, welche Art von Windeln die Mutter verwendet, welche Art von Beikost etc. Gute Ratgeber hingegen akzeptieren, dass es auch andere Meinungen und Einstellungen gibt. Vieles ist auch eine kulturelle Frage. Mich hat es wahnsinnig entlastet, zu sehen, dass Kaiserschnitt- und Stillraten viel von kulturellen Gegebenheiten beeinflusst werden. Das zeigt: Es gibt bei vielen Themen kein Richtig oder Falsch, es gibt nur das, was für mich, mein Kind, meine Familie passt.

Mir hat es zum Beispiel gutgetan, ein Gläschen Brei für mein Kind zu öffnen und es damit zu füttern. Da war ich entspannt und nicht gestresst durchs Kochen. Für uns war es so genau richtig. Ich kenne aber keinen Ratgeber, der sagt: Gläschenkost ist super. Die Tendenz in den meisten Ratgebern ist: Mach so viel wie möglich in jeder Hinsicht selbst. Damit verbannt man aber jede Bequemlichkeit und auch Flexibilität. Das ist es, was mich stört. Denn jeder, der die Dinge nicht selbst macht, ist automatisch schlechter als die Mutter, die alles selbst macht. Dass das nicht stimmt, das müssen sich Eltern immer wieder ins Gedächtnis rufen.

Am Ende Ihres Buches geben Sie Freunden und Verwandten Tipps für den perfekten Wochenbett-Besuch. Über welche Situation oder welche Geste waren Sie in den ersten Wochen nach der Geburt besonders dankbar?

Das schönste Wochenbett-Geschenk war, dass meine jüngste Schwester uns einen riesigen Topf Nudelsoße gekocht hat. Wir haben tagelang davon gegessen. Das war super. Ansonsten habe ich mich sehr darüber gefreut, dass mir Freundinnen kleine Care-Pakete geschickt haben. Und der Inhalt der Pakete war so ganz unterschiedlich – wie auch die Freundinnen unterschiedlich sind. Eine Freundin hat mir zum Beispiel ihr liebstes Kinderbuch geschenkt. Das war das erste Buch, das ich meinem Kind vorgelesen habe. Eine andere hat Snacks für mich und Kleinigkeiten für mein Kind geschickt. Die nächste Freundin hat Windeln geschenkt und eine Decke. Diese Gesten sind mir sehr im Gedächtnis geblieben.

Am Ende doch noch ein Ratschlag Ihrerseits: Gibt es etwas, dass Sie werdenden Eltern unbedingt mit auf den Weg wollen würden?

Es gibt nicht das eine Elternbild, dem man entsprechen muss. Man sollte versuchen einander den Raum geben, Dinge zu hinterfragen und mehr darauf hören, was einem als Familie guttut.

Ana Wetherall-Grujić, Autorin des Buches „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“ © Kremayr & Scheriau

Infos zum Buch „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“

„Das Baby ist nicht das verdammte Problem“ ist im Mai 2023 im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen. Auf 192 Seiten spricht sich die Autorin Ana Wetherall-Grujić gegen den zunehmenden Druck auf Mütter aus. Das Buch kostet 24,00 Euro, die ISBN lautet: 978-3-218-01394-9. „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“ ist auch als E-Book erhältlich.

Weitere Infos zur Autorin von „Das Baby ist nicht das verdammte Problem“ findest du auf ihrer Website.

Mehr Lesestoff gefällig? Tipps gibt es hier:

„Mein Körper gehört mir!“ – Ein Sachbuch ab 5 Jahren

8 großartige Bücher für Geschwisterkinder

Buchempfehlungen für Babys und Kleinkinder 

Teilen:
Die mobile Version verlassen