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Stillen als Verhütungsmittel – kann das funktionieren?

Stillen als Verhütungsmittel
Geschätzte Lesedauer: 5 Minuten

Kaum ist der neue Erdenbürger auf der Welt, stellt sich für Paare die Frage, ab wann und wie beim Sex verhütet werden soll. Stillen gilt als das älteste und natürlichste Verhütungsmittel der Welt. Doch was ist dran an dieser Aussage? Muss man sich um die Familienplanung keine Gedanken machen, solange das Baby nur regelmäßig an Mamas Brust trinkt?

Meine Frauenärztin sagte mir damals, solange ich voll stille, hätte ich einen Empfängnisschutz von 90 Prozent. Bleiben also zehn Prozent „Risiko“ für eine erneute Schwangerschaft. Nicht gerade wenig. Stimmte, was sie mir gesagt hat? Wir haben für euch Fachliteratur gewälzt und uns angesehen, was die Forschung zum Verhütungsmittel Stillen sagt. Spoiler: Voll stillende Mamas haben tatsächlich einen recht guten Schutz, zumindest in den ersten sechs Lebensmonaten des Kindes – wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Stillen und Familienplanung

Ursula Sottong beschäftigt sich als Ärztin und Gesundheitswissenschaftlerin seit vielen Jahren mit den Themen Fruchtbarkeit, Stillen und Familienplanung. Vor Kurzem erschien im Kohlhammer Verlag ihr Buch „Stillen und Fruchtbarkeit – Über die älteste Form der Familienplanung“.

Inhaltlich richtet sich das Buch eher an ein Fachpublikum als an die Durchschnittsmama, dennoch kann man beim Lesen viel Spannendes erfahren. Sottong schreibt: „Vor Einführung der modernen hormonellen Kontrazeptiva war Stillen mit allen damit verbundenen kulturellen Vorgaben weltweit der Hauptfaktor, der den Abstand zwischen zwei Schwangerschaften beeinflusst hat“. Frauen, die weder stillen noch verhüten, würden in der Regel in weniger als sechs Monate nach der Geburt wieder schwanger. Dagegen hätten voll stillende Frauen Geburtenabstände von zwei Jahren und mehr. „In den sogenannten Entwicklungsländern, wo vor allem im ländlichen Raum die meisten Frauen noch mehr als 12 Monate stillen, werden auch heute noch mehr Schwangerschaften durch Stillen vermieden als durch alle anderen Methoden.“

Ich selbst habe meine zwei Kinder jeweils weit über ein Jahr gestillt. Bei beiden kam mein Zyklus im ersten Jahr nicht wieder. Ich kenne aber andere stillende Mütter, bei denen das viel früher der Fall war. Schauen wir uns also genauer an, wie das Stillen den weiblichen Zyklus beeinflusst.

Wer stillt überhaupt?

Ein Unterkapitel des Buches widmet sich dem Stillverhalten in Deutschland. Die Zahlen klingen zunächst gut. Laut einer Studie des Robert Koch-Instituts (aus den Jahren 2014 bis 2017) wollen 90 Prozent aller werdenden Mütter stillen. Immerhin 87 Prozent beginnen auch damit. Doch dann sinken die Zahlen rapide. Bis zum Ende des sechsten Lebensmonats stillen nur noch 13 Prozent aller Mütter. Dabei empfiehlt etwa die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nachdrücklich, im ersten Lebenshalbjahr ausschließlich zu stillen. Als Gründe gaben Mütter, die mit dem Stillen aufgehört hatten, zum Beispiel an, dass sie zu wenig Muttermilch oder gesundheitliche Probleme hatten. Andere klagten über Brustentzündungen oder gaben an, dass das Kind die Brust nicht mehr wollte.

Tipp

Hilfe und Rat rund um das Thema Stillen findet ihr in Baby- und Stillcafés.

Die Sache mit dem Prolaktin

Dass Stillen die Rückkehr der Fruchtbarkeit beeinflusst, ist durch zahlreiche Studien belegt. Verantwortlich dafür ist vor allem das Hormon Prolaktin. Es spielt bei der Milchbildung eine Rolle und kann den Eisprung hemmen. Im Tierreich wurde es schon vor fast hundert Jahren entdeckt (bei Hasen), beim Menschen erst 1970. Vor der Geburt, schreibt die Ärztin Ursula Sottong, ist das Prolaktin 20-mal so hoch wie im normalen Zyklus. Der Prolaktin-Spiegel kann bei stillenden Frauen über Monate bis zu wenigen Jahren erhöht bleiben. Eisprung und Blutung bleiben aus und damit auch die Möglichkeit, schwanger zu werden. Umgekehrt gilt: Stillt eine Frau nach der Geburt nicht, sinkt der Prolaktin-Spiegel innerhalb weniger Tage auf ein normales Niveau und der Zyklus setzt wieder ein.

Um das Wiedereinsetzen des Zyklus hinauszuzögern, muss der Prolaktin-Spiegel also hoch bleiben. Angeregt wird die Ausschüttung des Hormons durch das Saugen an der Brust. Das funktioniert übrigens auch, wenn das Kind nur zum Trost an der Brust nuckelt. Die Stilldauer hat keinen Einfluss, wohl aber die Stillfrequenz, also wie oft ein Kind innerhalb von 24 Stunden an der Brust angelegt wird. Der Prolaktin-Spiegel kann allerdings nicht beliebig lange hochgehalten werden, selbst wenn man häufig stillt. Nach und nach sinkt er auf den Normalwert ab.

Interessant fand ich den Hinweis im Buch, dass eine Frau nicht unbedingt ein Kind geboren haben muss, um stillen zu können. Ein mechanischer Reiz an den Brüsten reiche aus, um Prolaktin auszuschütten und die Milchbildung anzuregen. Sottong verweist auf Berichte von Naturvölkern, bei denen die Großmutter das Stillen übernommen hat, nachdem die Mutter eines Säuglings gestorben war. Und tatsächlich finden sich im Internet zahlreiche weitere Beispiele dafür. Denn auch für Adoptivmütter oder zwei Frauen, die gemeinsam ein Kind bekommen haben, kann das Stillen eines „fremden“ Kindes ein Thema sein. Einfach mal „induzierte Laktation“ in die Suchmaschine tippen.

Stillen als Verhütungsmittel – die LAM-Methode

Der Name geht nicht gerade leicht über die Lippen. LAM steht für Lactational Amenorrhea Method, zu Deutsch Laktationsamenorrhö-Methode. Gemeint ist damit: Man macht sich den Umstand, dass die Regelblutung wegen der Milchbildung ausbleibt, für die Familienplanung zunutze. Die Erfinder dieser Methode suchten nach möglichst einfachen Regeln, an denen Frauen erkennen können, wie es um ihre Fruchtbarkeit während der Stillzeit bestellt ist. Sie arbeiteten drei Parameter heraus, die Aufschluss darüber geben, ob eine zusätzliche Verhütung ratsam ist.

  1. Blutung
    Der Zyklus der Frau hat noch nicht wieder eingesetzt, sie hat keine Blutung (mit Ausnahme des Wochenflusses).
  2. Volles Stillen
    Keine Stillmahlzeit darf durch Beikost oder Flüssigkeit ersetzt werden.
  3. Alter des Kindes
    Das Kind darf nicht älter als sechs Monate sein

Hält man sich an diese „Regeln“, liegt die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, bei maximal zwei Prozent. Sobald sich auch nur einer dieser drei Parameter ändert (die Menstruation setzt ein, Babybrei wird eingeführt, das Kind ist älter als sechs Monate), kann die LAM-Methode nicht mehr angewendet werden. 

Was bedeutet das in der Praxis?

LAM ist für Frauen und Paare gedacht, die eine natürliche Verhütungsmethode wünschen oder die Anwendung eines anderen Verhütungsmittels (Kondom, Minipille…) hinauszögern wollen. Die Methode kann jedoch nur eine Überbrückungshilfe sein, da sie nur für die ersten sechs Lebensmonate des Kindes geeignet ist. Danach verändert sich der Prolaktin-Spiegel zu individuell, um eine für alle Mütter gültige Aussage treffen zu können. Das Einsetzen der Regelblutung allein ist kein Hinweis. Denn schon vor der ersten Blutung kann es wieder zu einem Eisprung und damit theoretisch zu einer Befruchtung der Eizelle gekommen sein.

Die Wahrscheinlichkeit, schwanger zu werden, liegt – bei Einhaltung aller Regeln – bei maximal zwei Prozent. LAM ist damit ähnlich sicher wie ein Kondom bei perfekter Anwendung. Deutlich besser schneiden allerdings Pille bzw. Minipille oder die Kupferspirale ab. (Mehr zur Sicherheit von Verhütungsmitteln hier)

Hinzu kommen weitere Unsicherheiten. So ist zum Beispiel der Einsatz eines Schnullers bei der LAM-Methode nicht vorgesehen. Der längste Abstand zwischen zwei Stillmahlzeiten sollte nicht mehr als sechs Stunden betragen und innerhalb von 24 Stunden sollte etwa zehnmal kurz oder sechsmal intensiv gestillt werden. Wer kein genaues Stillprotokoll führt, stößt bei der Beurteilung schnell an seine Grenzen.

Fazit

Stillen vermindert die Fruchtbarkeit der Frau für eine bestimmte Zeit. Doch für wie lange, das ist sehr individuell. Nur für das erste halbe Jahr nach der Geburt lassen sich Regeln ableiten, die für alle Mütter gelten. Für Frauen, die besonders während der Stillzeit auf Hormon-Präparate verzichten wollen, bietet die LAM-Methode aber einen guten Ansatz, sich mit den natürlichen Vorgängen im Körper auseinanderzusetzen.

Welche Erfahrungen habt ihr mit dem Stillen und dem Wiedereinsetzen des Zyklus gemacht? Schreibt es uns in die Kommentare

Stillen und Fruchtbarkeit
Über die älteste Form der Familienplanung
Ursula Sottong
150 Seiten
29 € (Kohlhammer)

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