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Schreikinder – Teil 2: Wann muss ich mir Hilfe holen?

Schreikind
Geschätzte Lesedauer: 5 Minuten

Schreikinder sind anstrengend und oft wissen Eltern nicht, was sie dagegen machen sollen. Sie fühlen sich verzweifelt und in einem ewigen Kreislauf von Sorge, Erschöpfung und Versagensangst gefangen. Wie man in so einer Situation Hilfe bekommt und ab wann sie sogar dringend nötig ist, verrät uns Diane Gerner im zweiten Interview. Sie erklärt, warum es ohne Hilfe von außen irgendwann nicht mehr geht, an wen man sich wenden kann und wie sie konkret Familien hilft.

Warum kann ich mich nicht selbst aus der Situation befreien?

Schreikinder weinen und schreien über einen längeren Zeitraum und das ist ein richtiger Stressauslöser. Die Eltern sind verzweifelt, machen sich Sorgen und wollen, dass es aufhört. Sie sind selbst sehr aufgeregt. Vor allem der Organismus der Mutter reagiert mit Stress und Adrenalinausschüttung. Dies hat zur Folge, dass das Herz schneller klopft, die Atmung schwerer fällt und in der Brust ein Druck entsteht. Der Körper fängt nicht selten auch an zu schwitzen.

Die Eltern versuchen, das Schreikind zu beruhigen, aber es spürt die Unruhe und Unsicherheit der Eltern. Es nimmt auch die physiolo-gischen Veränderungen mit seinen feinen Antennen wahr und wird noch aufgeregter. Ich vergleiche das immer mit zwei Magneten, deren Pole nicht zusammenpassen und die sich dann gegenseitig abstoßen. Ist der Organismus der Mutter so angespannt, ist eine Beruhigung des Kindes kaum mehr möglich. Die Eltern sollten sich dann Hilfe von außen holen.

Wie geht es dem Partner mit dem Schreikind und wie kann er unterstützen?

Auch der Partner ist bei der Geburt und in der Zeit danach sehr gefordert. Vielleicht hatte er Sorge um Mutter und Kind bei einer schwierigen Geburt? Vielleicht fühlt er sich auch machtlos, wenn die Mutter stillt (er also keine Nahrung geben kann) und das Baby so viel weint. Er leidet ebenso unter der Anspannung und der stressigen Situation und den unruhigen Nächten.

Oft werden die Väter in dieser Situation vergessen. Sie flüchten sich in die Arbeit oder sind einfach nur hilflos. Es ist gut und sinnvoll, wenn der Partner sich im persönlichen Gespräch Rat und Unterstützung holt. Er stärkt sich somit und findet einen Ort für seine Sorgen und Bedenken. So kann auch er wieder gestärkt die häusliche Situation annehmen und die Familie gut unterstützen. Auch traumatische Geburtserlebnisse und Ängste sollten im Gespräch einen Platz finden, um sie gut zu verarbeiten.

Es sind manchmal auch Gespräche zu zweit mit einer professionellen Begleitung sehr sinnvoll. Dadurch wird gelernt, Bedürfnisse und Erwartungen an den Partner wertschätzend zu formulieren und Missverständnisse zu beseitigen. Durch die im ersten Lebensjahr neue Lebenssituation mit Kind, der großen neuen Verantwortung und der veränderten Struktur zu Hause, können schnell Verständigungsprobleme auftauchen. Im Gespräch bleiben heißt, Verständnis für die Situation und Erschöpfung des Andern zu entwickeln. Meine Elternberatung ist auch dafür eine sehr gute Anlaufstelle und neutrale Begleitung.

Natürlich ist es auch hier ratsam, sich nach Menschen umzusehen, die unterstützen können. So ist es auch möglich, ein gewisses Maß an gemeinsamer Paarzeit zu haben und zu genießen.

Ist es manchen Paaren unangenehm, über ihr Schreikind zu sprechen?

Sich Rat und Hilfe zu holen ist nicht peinlich. Sondern im Gegenteil ein Zeichen der Fürsorglichkeit für das betroffene Kind und sich selbst. Es ist immer richtig und gut, eine oder mehrere der Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen – wenn man sich überfordert, hilflos oder unsicher im Umgang mit seinem Kind fühlt. Dafür sind die Fachexperten gerne da. In der Regel kann man sich vorab auch telefonisch bei dem jeweiligen Anbieter über Art und Kosten der Unterstützung informieren.

Wo und wie kann ich mir Hilfe holen und was kostet das bzw. übernimmt die Krankenkasse die Kosten?

Wenn Eltern das Gefühl haben, ihre Situation mit Schreikindern ist unerträglich oder „es stimmt vielleicht etwas nicht“, ist immer zuerst der Rat des Kinderarztes einzuholen. Dieser kann die Situation professionell einschätzen und organische Ursachen ausschließen. In der Regel sind die Kinderärzte mittlerweile in den regionalen Strukturen der „Frühen Hilfen“ über die Jugendämter der Landkreise gut eingebunden und vernetzt. Viele Kinderärzte raten den Eltern, sich hier Unterstützung und Rat zu holen. Dort erhalten die Familien die notwendigen Kontaktinfos und Flyer.

„Die Frühen Hilfen“, z.B. im Stuttgarter Raum oder im Landkreis Esslingen, bieten ihre Beratungen in der Regel kostenfrei an. Auch eine Überweisung durch den Kinderarzt an ein SPZ (Sozialpädiatrisches Zentrum der Kliniken) kann erfolgen und ist für die Familien kostenlos. Leider gibt es hier häufig sehr lange Wartezeiten für einen Termin. Weiter gibt es einige freiberufliche Beratungsangebote, wie meins, die honorarpflichtig, aber sehr individuell sind.

In der Regel können diese Angebote nicht mit der Krankenkasse abgerechnet werden. Häufig gibt es allerdings je nach Einkommen auch gestaffelte Honorarsätze oder individuelle Absprachen. Die Honorare sind je nach Anbieter unterschiedlich und können meist auf der jeweiligen Homepage eingesehen werden.

Wie helfen Sie Familien in Situationen mit Schreikindern?

Ich biete eine Beratung und Begleitung an, die sich direkt an den Fragestellungen und Problemen der Familie orientiert. In der Regel in Form von Hausbesuchen, um die Kinder direkt in ihrer häuslichen Umgebung zu erleben. Grundsätzlich ist aber auch eine Beratung einzelner Personen oder beider Elternteile gemeinsam in der Beratungspraxis sehr sinnvoll und möglich.

Was unterscheidet Ihre Beratung von anderen Schreikinder-Ambulanzen?

In offiziellen Beratungszentren, z. B. den Sozialpädiatrischen Zentren der Kliniken, wird vornehmlich verhaltensorientiert gearbeitet. Das heißt, ein bestimmtes Verhalten ist erlernt und kann z.B. durch Schlaftraining und Einhaltung strengerer Rhythmen wieder verändert werden. Die einzelne Person, z.B. die sehr überlastete Mutter, steht dabei eher weniger im Vordergrund.

Aufgrund fundierter interdisziplinärer Weiterbildungen und einer 15-jährigen Erfahrung in der Elternberatung ist mein Ansatz hingegen nahezu dreigleisig:

• Zum einen stärke ich die Eltern durch eine klare Fachexpertise. Durch einen geschulten Blick auf das Kind selbst und die Eltern-Kind Interaktion mache ich mir ein Bild der Situation.

• Zum anderen unterstütze ich die Eltern in besonders krisenhaften und schwierigen Belastungssituationen durch körperorientierte  Interventionen für Eltern und Kind.

• Als drittes biete ich eine sehr individuelle, wissenschaftsbasierte personenzentrierte Beratung und Begleitung in Form von Einzelgesprächen/Coaching an.

All dies hat zum Ziel, die komplette Dynamik und Problematik der Familie mit Ihren Sorgen und Anliegen voll zu erfassen. Ich suche gemeinsam mit den Eltern nach ihren Ressourcen. So soll die Möglichkeit geschaffen werden, die momentane Krise wieder in den Griff zu bekommen.

Auf Wunsch führe ich in gesonderten Terminen dafür begleitende Einzelgespräche. Denn nicht selten kommen Eltern nach der Geburt in Kontakt mit ihrer eigenen Kindheitsgeschichte. Oft sind sie auch aus verschiedenen Gründen in der Interaktion mit dem Schreikind und der neuen, großen Verantwortung verunsichert.

Gibt es Kurse, um sich auf die Situation mit Schreikindern einzustellen?

Ja, im Allgemeinen bieten die Familienbildungsstädten und -zentren häufig Vorträge zu solchen Themen an. Da geht es um „Signale des Babys verstehen“ oder das Thema „Schlafen und Weinen“. Ich selbst biete Paargespräche vor und nach der Geburt an, um Fragen im Hinblick auf die neue Situation zu besprechen. Ab Januar 2022 werde ich zusätzlich kleine, individuelle Kursangebote zu den Themen rund um die Geburt anbieten.

Schreikinder brauchen starke Eltern

Niemand muss also in seiner Not ohne Hilfe bleiben. Vor allem sollte man sich nicht schämen, Hilfe einzufordern und anzunehmen. Die Situation nach einer Geburt ist sowieso schon ein Ausnahmezustand. Wenn das nicht gleich rund läuft, sind viele Eltern schnell überfordert.

Scheut euch nicht, mit eurem Kinderarzt zu sprechen und eure Ängste und Sorgen offen zu äußern. Ihr seid nicht alleine und übernehmt die Verantwortung für euren Frieden zu Hause und ein harmonisches Familienleben.

Schreikinder: Individuelle Hilfe für Eltern

Zur individuellen Beratung findet ihr hier weitere Informationen oder schreibt direkt an Diane Gerner: beratungspraxisgerner@gmx.net

Ab Januar bietet Diane Gerner auf ihrer neuen Website oder direkt auf bob.family verschiedene Kurs-Angebote zum Thema Schreikinder an.

Schreikinder – Teil 1: Was sind die Ursachen?
Lest auch in unserem ersten Interview mit Diane Gerne, was die Ursachen für das Schreien sein können und profitiert von hilfreichen Tipps & Tricks!


Bilder: canva, unsplash, pexels

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