Website-Icon Blog Schwangerschaft und Baby

Kitakrise 7: Wie kommt Deutschland aus der Krise?

Ein Mädchen hat eine spielzeugkamera in der Hand - ein Smybolbild zum Thema Kitakrise
Geschätzte Lesedauer: 4 Minuten

In mehreren Beiträgen haben wir uns mit der Kitakrise in Deutschland beschäftigt. Der Eindruck: Kinder werden oft nicht mehr gebildet und gefördert, sondern eher verwahrt. Mancherorts nicht einmal das, weil die Kita wegen Krankheit und Personalmangel ganz geschlossen hat oder die Öffnungszeiten reduzieren musste. Erzieherinnen und Erzieher klagen über Burn-out und hohen Druck, Eltern über fehlende Planungssicherheit und Vertrauensverlust. Zum Abschluss unserer Serie werfen wir noch einmal einen Blick auf die aktuelle Situation. Was fordern Fachkräfte und Experten, was tut die Politik und welche Ideen können aus der Kitakrise führen?

Wie schlimm ist die Personalnot in den Kitas?

Dramatisch. Nach Berechnungen der Bertelsmann Stiftung fehlen in Deutschland rund 430.000 Kita-Plätze, die meisten davon in Westdeutschland. Um diesen Bedarf zu decken, braucht es vor allem mehr Personal in den Einrichtungen. Doch das ist knapp. Eine Prognose der Stiftung zeigt, dass bis 2025 bundesweit 45.400 Fachkräfte fehlen, um den Betreuungswünschen der Eltern gerecht zu werden. Mehr als doppelt so viele sind nötig, wenn alle Kitas einen kindgerechten Personalschlüssel haben sollen. Kindgerecht heißt nach wissenschaftlichen Empfehlungen: In Krippengruppen kümmert sich eine Fachkraft um drei Kinder, in Kindergartengruppen um sieben bis acht Kinder. Tatsächlich werden derzeit 90 Prozent der Kita-Kinder in Ostdeutschland in Gruppen mit einem schlechteren Personalschlüssel betreut, in Westdeutschland sind es 62 Prozent.

Hinzu kommt: Selbst wer einen Platz für seine Kinder ergattert hat, kann sich auf die Betreuung nicht verlassen. Das hat eine Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung ergeben. Befragt wurden mehr als 5000 Erwerbstätige und Arbeitssuchende. Mehr als die Hälfte der Eltern war im Frühjahr 2023 von verkürzten Öffnungszeiten oder gar zeitweisen Schließungen der Kitas betroffen.

Wie wirkt sich die Personalnot aus?

Wie sehr der Personalmangel die Arbeit in den Kitas belastet, zeigt eine bundesweite Recherche des Netzwerks CORRECTIV. Dort ist von einem „schleichenden Systemversagen“ die Rede. Erzieherinnen und Erzieher berichten, dass sie an manchen Arbeitstagen nicht einmal mehr auf die Toilette gehen können oder keine Zeit zum Essen und Trinken haben. An der nicht repräsentativen Umfrage nahmen mehr als 2000 Kita-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter teil. Mehr als die Hälfte berichtet, dass sie ihre pädagogische Arbeit nicht mehr leisten können. Sie stehen unter großem Druck und Stress, machen Überstunden und müssen ihren Urlaub verschieben. Das macht auf Dauer krank – und der hohe Krankenstand belastet wiederum die Erzieherinnen und Erzieher, die weiter arbeiten.

Die Zukunftsaussichten sind schlecht: In der Befragung gab fast jeder zehnte Beschäftigte an, dass er selbst oder Kollegen den Beruf aufgeben wollen.

Was fordern die Kitas?

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) warnt, der Personalmangel gefährde die frühkindliche Bildung. Kitaleitungen sehen in einer Studie die Aufstockung von Teilzeitkräften als sinnvolle Maßnahme zur Verbesserung der Situation. Auch der Einsatz von Springerkräften, verkürzte Öffnungszeiten und der Einsatz von Fachkräften im Ruhestand könnten helfen.

Um mehr Personal zu gewinnen und in den Einrichtungen zu halten, werden eine bessere Bezahlung, die Schaffung neuer Stellen sowie die Entwicklung und Förderung individueller beruflicher Perspektiven genannt.

Der Verband KiTa-Fachkräfte Rheinland-Pfalz fordert unter anderem eine Anhebung des Personalschlüssels auf die wissenschaftlichen Empfehlungen. Außerdem brauchen Erzieherinnen und Erzieher Zeit für Teamgespräche, Dokumentation oder Elterngespräche, diese Zeit muss im Personalschlüssel berücksichtigt werden, ebenso wie Ausfallzeiten durch Urlaub oder Krankheit. Außerdem werden genannt: kleinere Kita-Gruppen (Krippe max. 10 Kinder, Kindergarten max. 15 Kinder), Zeit für Fort- und Weiterbildung und eine generell bezahlte Ausbildung für pädagogische Fachkräfte.

Die Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung, Bettina Kohlrausch spricht sich für eine „Ausbildungsoffensive für Erziehungsberufe, gekoppelt an deutlich bessere Personalschlüssel“ aus. Als zweite Stellschraube nennt sie eine bessere Bezahlung. „Mehr Geld könnte abgewanderte Fachkräfte dazu bewegen, wieder in den Bereich der frühen Bildung zurückzukehren“, sagte sie.

Was tut die Politik gegen die Kitakrise?

Bildung ist Ländersache, daher gibt es kein einheitliches Vorgehen. Der Bund hat aber zumindest den Geldhahn aufgedreht. Mit dem KiTa-Qualitätsgesetz (eine Weiterentwicklung des Gute-KiTa-Gesetzes) werden den Ländern in den Jahren 2023 und 2024 rund vier Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Damit soll die Qualität in der Kinderbetreuung verbessert werden. Mit etwa der Hälfte des Geldes sollen mehr Fachkräfte in die Kitas geholt und der Personalschlüssel verbessert werden. Das restliche Geld fließt beispielsweise in die Stärkung der Kita-Leitungen durch Fortbildungen und in eine Verbesserung der sprachlichen Bildung der Kinder.

Nordrhein-Westfalen hat 2023 das „Sofortprogramm Kita“ gestartet. Ziel ist es, schneller mehr Personal in die Kitas zu bringen. Zur Unterstützung von Erzieherinnen und Erziehern sollen mehr Stellen für ein Freiwilliges Soziales Jahr in den Kitas geschaffen werden. Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger sollen verstärkt ausgebildet werden. Anders als Erzieherinnen und Erzieher lernen sie nur zwei statt drei Jahre und arbeiten neben der schulischen Ausbildung bereits in der Kita mit. Allerdings dürfen sie später nicht alle Aufgaben einer klassisch ausgebildeten Erzieherin übernehmen. Auch auf Quereinsteiger wird gesetzt. So können beispielsweise Physiotherapeutinnen oder Kunst- und Sportpädagogen die Arbeit der Fachkräfte unterstützen.

Auch Fachkräfte aus dem Ausland können zur Entlastung beitragen. Die Stadt Schwäbisch Hall (Baden-Württemberg) wirbt seit 2020 Erzieherinnen und Erzieher aus Spanien an. Dasselbe probiert man in Münster (Nordrhein-Westfalen). Denn in Spanien ist es umgekehrt: Es gibt Fachkräfte, aber zu wenig freie Stellen.

In Baden-Württemberg wurde ein so genannter „Erprobungsparagraf“ eingeführt. Er erlaubt den Kita-Trägern, unter bestimmten Bedingungen die Personalvorgaben zu lockern und die Zahl der Erzieher pro Gruppe zu senken. Dafür müssen aber andere Hilfskräfte eingesetzt werden. So sollen Kita-Plätze erhalten und neue geschaffen werden.

Welche Lösungsideen gibt es noch?

Die Rechercheplattform CORRECTIV ruft dazu auf, sich einzumischen. Eine Idee: Gezielt auf Politikerinnen und Politiker zugehen. Eine Liste der Möglichkeiten von Petitionen über Bürgermeistersprechstunden bis hin zu Bürgerbegehren gibt es hier.

Die Bertelsmann Stiftung sieht gute Chancen, die Betreuungssituation in Deutschland bis 2030 wieder in den Griff zu bekommen. Anette Stein, Expertin für frühkindliche Bildung bei der Stiftung, nennt drei konkrete Maßnahmen: 1. Pädagogische Fachkräfte müssen durch Hauswirtschafts- und Verwaltungskräfte entlastet werden. 2. Quereinsteiger können helfen. 3. Die Betreuungs- und Öffnungszeiten müssen zeitweise reduziert werden. Und zwar auf sechs Stunden – zwei bis drei Stunden weniger als derzeit in vielen Einrichtungen. Letzteres würde für viele Eltern einen großen Einschnitt bedeuten.

Kurz gefragt mit Anette Stein

Die Journalistin Frida Thurm fordert in einem Kommentar auf Zeit Online einen Elternstreik. „Sie müssten die Arbeit niederlegen immer dann, wenn ihre Kleininder nicht mehr so betreut werden können, dass das Kindeswohl gewahrt ist.“ Der Streik dürfe erst dann enden, wenn „Konzernchefs von VW bis Siemens am Kanzleramt auf der Matte stehen und ein Krisengespräch fordern.“ Da ein Elternstreik in der Praxis kaum umsetzbar ist, appelliert Thurm an die Gewerkschaften sich an die großen Arbeitgeber zu wenden, damit diese „der Politik die Lösungen abringen“. Das sei sinnvoller, als Erzieherinnen und Lehrer immer wieder in Warnstreiks zu schicken.

Beitragsbild: Tanaphong Toochinda/Unsplash

Teilen:
Die mobile Version verlassen