Website-Icon Blog Schwangerschaft und Baby

Financial Load – nur Männersache?

Financial Load - Mental Load
Geschätzte Lesedauer: 5 Minuten

Meinen ersten Kontakt mit Financial Load hatte ich, als mir der Ehemann eröffnete, keine Lust mehr zu haben, allein für unsere Finanzen zuständig zu sein. Vor Jahren schon hatten wir ausgehandelt, dass er mir einen Finanzausgleich für fehlende Rentenpunkte auszahlt, da ich mich vornehmlich um Kind, Haus und Tiere kümmerte. Jetzt, da er mittlerweile nicht nur täglich Sternekoch-würdige Menüs zauberte und sich immer mehr Familienzeit nahm und damit auch eine gute Portion Mental Load trug, brauchten wir ein neues Model.

Financial Load – wenn es die eigene Familie erwischt

Durch meine journalistischen Recherchen hatte ich schon eine Menge zum Thema gelesen. Mir war das alles theoretisch vollkommen klar. Gleichzeitig war es eine vollkommen andere Sache, plötzlich selbst mit einem Rollenmodell konfrontiert zu sein, in dem die Lasten immer unausgewogener verteilt waren. Und da dieser Umstand auch auf die Familienstimmung drückte, ich mich für eine selbstständig denkende und handelnde Frau halte, die unabhängig sein wollte, war das für mich kein tragbarer Zustand. Mir war außerdem bewusst, wie gefährlich ich lebte. Würde sich der Ehemann anderweitig orientieren, krank werden oder schlimmeres, hätten wir als Familie nicht nur einen kurzfristigen finanziellen Engpass. Wir hätten ein richtiges Problem. Ich hätte eins. Fakt ist nämlich, dass gerade nicht arbeitende Frauen von Altersarmut bedroht sind.

Financial Load, Mental Load – was ist der Unterschied?

Wenn ich von Mental Load spreche, meine ich die Gedankenlast, die meistens Frauen tragen und die sich aus den gefühlt unendlichen To-do-Listen des Alltags zusammensetzt. Da wird aus einem Kindergeburtstag schnell mal ein organisatorischer Spießrutenlauf. Du besorgst nämlich nicht nur das Geschenk und kutschierst dein Kind hin und her – du findest heraus, was sich das Geburtstagskind wünscht, besorgst etwas Entsprechendes und gibst dem eigenen hoch-allergischen Sprössling vielleicht noch Erdnuss-freies Gebäck mit. Damit es nicht wieder, wie das letzte Mal, mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht wird.

Dieser vornehmlich weiblichen mentalen Last steht die finanzielle gegenüber. Noch immer sorgen fast ausschließlich Männer in Deutschland für gefüllte Familienkonten. Die 2018 erschienene OECD-Studie „Dare to Share“ belegt, dass Väter in Deutschland noch immer die Hauptverdiener sind, und zwar zu 93,7 Prozent vollbeschäftigt. Auch wenn die Berufstätigkeit von Müttern laut der Studie in den letzten zehn Jahren deutlich zu nahm – sie arbeiten vornehmlich in Teilzeit und tragen durchschnittlich mit nur knapp einem Viertel zum Familieneinkommens bei.

Woher kommen sie?

Zu verdanken haben wir die Trennung der mentalen und finanziellen Last dem klassischen Rollenbild, das sich im Laufe der 50er und  60er-Jahre herausbildete. Waren die Frauen nach dem Krieg fast alle berufstätig, um die Kinder  ihrer gefallenen Männer durchzubringen, so schaffte das Wirtschaftswunder diese Selbstständigkeit ab. Frauen suchten ihre Aufgaben in der Kindererziehung und in der Küche. Männer schufteten und rackerten, um diese mit den neuesten Geräten auszustatten.

Männer haben auch ein Recht auf Familie

Männer finden die Idee, so belegen zahlreiche Umfragen, den finanziellen Druck allein zu stemmen, heute nicht mehr sonderlich attraktiv. Sie wollen sich aktiv am Familienleben beteiligen und an den ersten Schritten des Nachwuchses nicht nur per Video teilzuhaben. Irgendwie ist das Rackern und Malochen ohnehin aus der Mode gekommen. Auch den stolzen Workaholic, der den drohenden Herzinfarkt wie eine Trophäe vor sich herträgt, ist eine aussterbende Spezies. Wer Kinder hat, will sie auch erleben. Und ich finde, Männer haben ein Recht darauf.

Dazuverdienen – ist das die Lösung?

Natürlich gibt es Gründe, weshalb Familien am althergebrachten Modell festhalten. Männer verdienen nämlich Vollzeit, bei gleicher Arbeit, einfach mehr als Frauen (Gender Pay Gap). Und das gilt leider auch für die Rente! Somit erscheint die berufliche Gleichberechtigung zunächst als teurer Luxus. Und wenn wir die beitragsfreie Mitversicherung von Familienmitgliedern in Krankenkassen und  Ehegattensplitting noch in die Waagschale werfen, scheint es fast irrsinnig, sich aus der finanziellen Komfortzone herauszuschälen.

Leider ist diese Lesart kurzsichtig. Wenn der Alleinverdiener oder die Alleinverdienerin sich nämlich vom Ehe-Acker macht, siehe oben, hilft das alles nichts mehr. Und die Chancen stehen statistisch recht gut – in Deutschland wird jede dritte Ehe geschieden.

Financial Load – keine Zeit zum Träumen

Als ich den Ehemann vor einer Weile fragte, welche persönlichen und beruflichen Ziele er denn habe, seufzte er nur. „Ich bin froh, dass ich mein Pensum schaffe. Wir haben einen ziemlich hohen Lebensstandard.“ Ende der Durchsage. Irgendwann entdeckte ich Broschüren auf seinem Schreibtisch mit Bewerbungsunterlagen. Zum Mediator! Warum er mir davon nichts erzählt habe, wollte ich wissen. Weil es dafür ja ohnehin keinen Raum gäbe, bekam ich zur Antwort. Mit der und einem wachsenden schlechten Gewissen verließ ich den Raum.

Umfragen belegen, dass sich Männer immer mehr für persönliche Entwicklung begeistern, Hobbys nachgehen wollen und auch davon träumen, sich beruflich neu zu orientieren. Und offensichtlich hatte ich auch so ein „Exemplar“ zu Hause: Ein Mann, der träumte und statt seine Träume ins Leben zu bringen, unsere zugegebenermaßen hohen Rechnungen bezahlte.

Mental Load – sind Frauen bereit, ihn abzugeben?

Offen gestanden war es für mich gar nicht so leicht, einen Teil des Mental Load abzugeben. Das bedeutete nämlich auch, dass ich mit ihm meine Entscheidungshoheit ziehen lassen musste. Was morgens in der Brotdose landet, ist oft Männersache. Und wann die Unterhosen gewechselt und die Kinderhände eingecremt werden, auch. Dass im Kinderzimmer am Abend noch Chaos herrscht und ich kein Veto-Recht habe, wenn während der Papa-Sohn-Zeit Fußball-Übertragungen mit Gröl-Begleitung laufen, schmerzt ebenso.

Also, liebe Ladys’n Gentlemen – wenn ihr zu denjenigen gehört, die Mental Load loswerden wollen, fasten your Seatbelt. Denn einen Teil eurer Entscheidungshoheit geht mit ihm dahin.

Und ihr so, liebe allein Verdienende?

Auch für allein Verdienende ist es manchmal nicht so einfach, das finanzielle Ruder abzugeben. Schließlich bedeutet Geld Macht. Also, seid ihr bereit, die Staffel zu übergeben, sodass eure Partnerin oder euer Partner zeigen kann, was sie oder er finanziell für die Familie leisten kann und beruflich draufhat?

Wie sieht die gerechte Verteilung von Mental Load & Financial Load aus?

Wenn ihr euch dafür entscheidet, die gedankliche und finanzielle Last gerecht aufzuteilen, wird sich euer Familienleben von Grund auf verändern. Ihr werdet zunächst viel Zeit brauchen, um Absprachen zu treffen und auszuhandeln, wer für ein wichtiges Projekt vielleicht gerade mehr Zeit benötigt. Wer sich um kranke Kinder kümmert oder zusätzliche Termine übernimmt. Und das funktioniert am besten, wenn ihr in regelmäßigen, konstruktiven Austausch geht. Kommunikation ist hier alles. Das sage ich aus eigener, leid- und später freudvoller Erfahrung.

Den Load konsequent teilen

Die Mental-Load-Expertin und Psychologin Patricia Cammarata erklärt in ihrem Buch „Die Mental Load Falle“ plausibel, dass beide Partner*innen in der Lage sein sollten, alle Aufgaben im Haushalt zu erledigen und gleichzeitig für den Lebensunterhalt der Familie sorgen zu können. Wenn du ein Regal an die Wand dübeln und gleichzeitig einen Kindergeburtstag ausrichten kannst, bist du klar im Vorteil, wenn Partner oder Partnerin mal ausfallen. Ein weiterer Pluspunkt: Deine Kinder erleben Eltern, die sich von gängigen Rollenklischees verabschiedet haben und echte Role Models für eine Generation sind, für die Gleichberechtigung selbstverständlich sein wird. #IHope

Financial Load, Mental Load – so kann’s gehen

Vielleicht fragst du dich, wie Gleichberechtigung und Vereinbarkeit ganz praktisch funktionieren. Möglicherweise plagen dich als Mama Ängste – werde ich überhaupt eine Stelle in meinem Beruf finden? Brauche ich dazu eine Fortbildung? Es kann auch sein, dass du dich als Papa nicht ganz wohl mit dem Gedanken fühlst, plötzlich für das termingerechte Heranschaffen von frischen Windelbergen zuständig zu sein und die dann auch noch täglich und  fachgerecht um dein Baby zu wickeln.

Die Lösung ist einfach – stresst euch nicht. Es gibt keine Vereinbarkeits-Polizei, die pfeift, wenn Papa schon wieder 10 Überstunden gemacht und Mama zum dritten Mal dafür die Küche geschmissen hat. Auch beim Teilen von Mental Load und Financial Load gilt: Der Weg ist bereits das Ziel. Und er darf einfach sein! Probiert euch aus, habt Geduld – mit euch selbst und miteinander. Denn es gibt ja einen gemeinsamen Traum, für den ihr angetreten seid – ein Familienleben mit mehr Freiheit, um Träume zu entwickeln.

Und Zeit, sie mit eurer Familie ins Leben zu bringen. Und dafür lohnt es sich, zurück auf Los zu gehen und die Karten neu zu mischen. Findest du nicht?

Beginne heute

Der Ehemann ist mittlerweile zertifizierter Mediator. Und ich habe Spaß daran gefunden, mir das Smarthome mal näher anzusehen. Und als ich neulich in der Küche stand, um uns etwas zu brutzeln, stand das Kind plötzlich mit geweiteten Augen vor mir und rief: „Mensch, Papa, komm schnell! Die Mama steht in der Küche und kocht“!

Was wirst du morgen tun, was du seit Jahren deinem Partner oder deiner Partnerin überlassen hast?

Teilen:
Die mobile Version verlassen